Andreas feierte den Morgen. Er bretterte mit 180 über die Autobahn, aus den Boxen satter Sound auf den Ohren. Auf den drei Spuren war kaum Verkehr, von Osten tastete die aufgehende Sonne mit ihren Lichtfingern über den Horizont. „Wer früh aufsteht hat mehr vom Tag“, dachte Andreas schmunzelnd. Nach einem Arbeitstag wie er ihn liebte, würde er früh Schluss machen können und zum Surfen rüber an die Nordsee fahren. Seine Gedanken wanderten weiter: Tja, und dieser abwechslungsreiche Job mit freier Zeiteinteilung und super flexiblen Arbeitszeiten war die beste Entscheidung überhaupt. „Ich bin Freelancer mit allen Vorteilen eines Festangestellten“, hatte er kürzlich einem Kumpel sein Arbeitsleben beschrieben, der wieder einmal die öde Eintönigkeit seines Bürojobs beklagt hatte.
Nach wenigen Minuten hatte Andreas sein Ziel erreicht: Das Atomkraftwerk Krümmel. Hier waren jetzt Spezialisten dabei, den still gelegten Meiler abzubauen. Und das nach über zehn Jahre weitere zwanzig Jahre. Wahnsinn, und er war einer davon. Als gelernter Maschinenschlosser und Mechatroniker mit diversen Fortbildungen waren seine Kompetenzen und Expertise in er ganzen Breite gefragt. Denn er war unter anderem dafür verantwortlich, dass die Großbandsäge, die sein Unternehmen Weisser-Bärwinkel hierher geliefert und aufgebaut hatte, reibungslos lief. Das haushohe Monstrum zerlegte Eisenteile in mehr oder weniger handliche Stücke, die dann abtransportiert werden konnten.
Nach diversen Sicherheitschecks und Durchqueren von Schleusen war Andreas jetzt auf dem riesigen Kraftwerksgelände unterwegs. Manchmal zwar ein bisschen nervig, aber andererseits beruhigend, dass sie das Thema Sicherheit hier so ernst nahmen. Der Schutz und die Gesundheit der Mitarbeitenden hatte oberste Priorität. „Ciao Valentino. Tutto bene?“ Lachend begrüßte er den Schichtführer, der gerade dabei war, die Säge herunterzufahren, damit Andreas die Servicearbeiten beginnen konnte. „Tutto bene, Maestro. Das Schätzchen läuft wie eine gut eingefahrene Ducati. Du wirst zügig durchkommen. Übrigens möchte Dich gegen Mittag der Boss kurz sprechen.“ Der „Boss“ war Thomas Müller – also nicht der vom FC Bayern, sondern der technische Leiter. Tip top, das war auch so ein Punkt, der Andreas immer wieder Spaß machte: Er verhandelte mit den Kunden auf Augenhöhe. Und wenn er Verbesserungsvorschläge hatte, wurden die dankbar angenommen, und sein Chef freute sich über neue Aufträge. Dabei zahlten sich nicht zuletzt die kurzen Wege aus, die Weisser-Bärwinkel als kleines, agiles Unternehmen auszeichneten. Die Arbeit lief jetzt wie am Schnürchen. Gut, das war nicht immer so, aber auch knifflige Probleme waren am Ende des Tages spannende Herausforderungen, die früher oder später bewältigt waren.
So kurzes Kalender-Update. Andreas hatte die Picknick-Bank am Waldparkplatz kurzerhand zu seinem kleinen Pop-up-Büro umfunktioniert. Mitte nächste Woche würde Andreas als Montageleiter bei einem neuen Projekt in München sein. Gut, ein Tag fahren, aber Fahrzeit war schließlich Arbeitszeit. Dieses Mal kein Atomkraftwerk, sondern eine Rohranlage in einem Messlabor. Zwischendurch war ein Tag Sicherheitsschulung in Berlin geplant. München-Berlin war mit dem Flieger ein Katzensprung. Dann waren zwei Wochen Heimateinsatz in Südbaden geplant. Jetzt noch kurz die Mails checken und die Werkzeugbestellung an die Kollegin im Innendienst senden.
Alles erledigt, ein kurzes Telefonat mit dem Chef: Sie würden, wenn er das in Maulburg in der Homebase war, über die Konstruktion einer veränderten Kettenzuführung im Detail sprechen. Feierabend. Andreas saß im Auto und fuhr wieder einmal der Sonne entgegen. Abendstimmung an der Elbe. Der Auftakt zu einem langen Wochenende. Überstunden abfeiern.